Antrag: Lehrkräfteausbildung praktisch und vernetzt denken – Qualität stärken, Fachkräftemangel bekämpfen!
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Die Niedersächsische Landesregierung strebt an, die Lehrkräftebildung qualitativ weiterzuentwickeln und an die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen anzupassen.
Dabei sollen die Studiengänge für die Lehrämter besser an die Anforderungen einer zunehmend heterogenen und komplexer werdenden Welt angepasst werden.
Vor dem Hintergrund eines allgegenwärtigen Fachkräftemangels und insbesondere bei einer gleichzeitig erkennbar geringen Attraktivität bestimmter Lehrämter (wie z. B. des Lehramtes für Haupt- und Realschulen) ist es erforderlich, weitere Maßnahmen zu treffen, um eine angemessene Versorgung mit Lehrkräften auch zukünftig sicherstellen zu können. Dies ist zurzeit teilweise nur mit großen Anstrengungen möglich.
Folglich ist es dringend notwendig, zusätzliche Möglichkeiten für den Quereinstieg zu schaffen, die Praxisanteile zur Vermeidung eines „Praxisschocks“ besonders auch in den Lehrämtern zu erhöhen, die bisher nicht von einer längeren Praxisphase profitiert haben, und im Zuge dessen auch die Phasenverzahnung von Studienseminaren und Hochschulen zu verstärken, um Übergänge deutlich zu erleichtern. Rein formalistische Übergangshemmnisse, die sich nicht inhaltlich-qualitativ begründen lassen, gilt es dabei konsequent abzubauen.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir:
1. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung in den vergangenen Jahren und die intensive Zusammenarbeit der für Bildung und Wissenschaft zuständigen Hochschulen, Institutionen und Behörden.
2. Die Einführung von „GHR 300[1]“ und in diesem Kontext die Erhöhung und Verbesserung der Praxisanteile.
3. Die Abschaffung der schriftlichen Arbeit im Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Grundschulen, das Lehramt an Haupt- und Realschulen und das Lehramt für Sonderpädagogik.
4. Die bereits ergriffenen Maßnahmen für Lehrkräfte im direkten Quereinstieg mit nur einem Fach zur Zweitfachqualifizierung.
5. Die Qualifizierung durch das Niedersächsische Landesamt für Qualitätsentwicklung (NLQ) für neu ernannte Studienseminarleitungen und für Lehrkräfte, die als Ausbildende an den Studienseminaren ein Fachseminar leiten.
Der Landtag bittet deshalb die Landesregierung,
- einen Quereinstiegs-Masterstudiengang an bis zu zwei Hochschulen unter Berücksichtigung des Beschlusses der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 13.06.2024 zur „Gestaltung von zusätzlichen Wegen ins Lehramt“ zu konzipieren und auch die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zu verbessern,
- das Lehramt an Haupt- und Realschulen in ein „Lehramt der Sekundarstufe I“ umzugestalten, die Schwerpunktsetzung in der ersten Phase (Haupt- oder Realschule) entfallen zu lassen und den Absolventinnen den Berufszugang insbesondere für Haupt-, Real- Ober- und Gesamtschulen zu eröffnen,
- zu prüfen, wie der Praxisbezug im Studium erhöht, seine Qualität landesweit einheitlich gesichert und besser mit dem Vorbereitungsdient abgestimmt und verknüpft werden kann,
- für die Lehrämter, in denen bisher kein Praxissemester („GHR 300“) eingeführt wurde
- gemeinsam mit den Hochschulen die Durchführung, Betreuung und Qualitätssicherung der Praxisanteile der Standorte abzugleichen und im Anschluss gemeinsame Leitlinien einschließlich Qualitätsstandards sowie ggf. Vorschläge zur Neugestaltung vorzulegen.
- eine Arbeitsgruppe aus Kultusministerium, Wissenschafts- und Kultusministerium, Hochschulen und Studienseminaren zu bilden, um im Sinne der Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) ein abgestimmtes Curriculum der ersten und zweiten Phase einschließlich der schulpraktischen Anteile abzustimmen und als gemeinsame Grundlage der zukünftigen phasenübergreifenden Zusammenarbeit zu etablieren. Die Arbeitsgruppe soll zudem prüfen, wie die theoretischen und praxisorientieren Inhalte in der universitären Ausbildung stärker miteinander verbunden werden können,
- zu prüfen, ob die Module der lehrkräftebildenden Hochschulen zu den Basiskompetenzen in den Bereichen Heterogenität von Lerngruppen, Inklusion und Grundlagen der Förderdiagnostik auf der Basis von Hochschulkooperationen und unter Nutzung der Möglichkeiten digitaler Lehre landesweit gebündelt werden können, um den Studierenden aller Lehrämter ein bestmögliches Angebot mit sonderpädagogischer Orientierung unterbreiten zu können,
- auf Grundlage der Lehrkräftebedarfsprognose von Kultusministerium und Wissenschafts- und Kulturministerium einen stufenweisen Aufbau von Bedarfsfächern für das Lehramt an Grundschulen bis 2035 zu planen, bei denen die Hochschulen eine angemessene Nachfrage verzeichnen und die Auslastung entsprechend sicherstellen können,
- zu prüfen, wie forschungsbezogene Analysen und Statistiken zu den Studienverläufen und Übergängen vom Studium in den Vorbereitungsdienst und in die Schulen sowie Forschungszugänge verbessert werden können,
- die Kooperation und Zusammenarbeit von Universitäten zu befördern, um die Attraktivität und die Breite der Angebote von lehramtsbildenden Hochschulen auch unter Nutzung digitaler Möglichkeiten und Mobilitäten für Studierende zu verbessern,
- zu prüfen, ob und wie ein dualer Masterstudiengang im Lehramtsstudium an berufsbildenden Schulen modellhaft eingerichtet werden kann,
- aufbauend auf Basis der Reform des Studiums auch die zweite Phase der Lehramtsausbildung inklusive der Berufseinstiegsphase nach dem Vorbereitungsdienst zu innovieren sowie den Rahmenbedingungen modernen Unterrichts und der zeitgemäßen und zukunftsorientierten Schulentwicklung anzupassen.
Begründung
Die aktuellen und zukünftigen Aufgaben, vor denen Lehrkräfte in der Schule stehen, sind komplex und herausfordernd. Zu ihnen gehört beispielsweise die Gestaltung individualisierter Lernprozesse, der Umgang mit Vielfalt und die Gestaltung einer inklusiven Schule sowie ganztägiges Lernen. Auch die personelle Zusammensetzung von Schulkollegien bzw. die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams führt zu tiefgreifenden Veränderungsprozessen in der Lern- und Arbeitskultur. Damit verändern sich auch die Professionsverständnisse. Die Qualität von Lern- und Bildungsinhalten und -prozessen in Schulen hängt maßgeblich von der Professionalität der Lehrkräfte ab. Daher ist eine hochwertige und auf die aktuellen Anforderungen ausgerichtete Lehrkräftebildung phasenübergreifend von entscheidender Bedeutung. Nur gut ausgebildete Lehrkräfte sind in der Lage, den vielfältigen Anforderungen, den komplexen Aufgaben und Veränderungen in der Schullandschaft gerecht zu werden. Ziel der Reform ist es, den Unterricht und die Lehr-Lern-Prozesse zu verbessern und auf innovative Schulentwicklungsprozesse hinzuwirken. Hierzu braucht es weiterhin professionell agierende Lehrkräfte, die in der Lage sind, die individuelle Entwicklung, den Entwicklungsstand, Lernstand und Lernverlauf der Schülerinnen und Schüler zu diagnostizieren, diese adaptiv zu fördern sowie ihr Unterrichtshandeln kontinuierlich zu reflektieren und Schulentwicklung kollegial zu gestalten. Aufbauend auf die Reform des Studiums ist auch der Vorbereitungsdienst mitzudenken und zu modernisieren.
Die Ausbildung soll sicherstellen, dass Lehrkräfte eigenständig bzw. in (multi-)professionellen Teams die Verantwortung für die ihnen gemäß dem niedersächsischen Schulgesetz übertragenen Aufgaben übernehmen können, aktiv an innovativen Schulentwicklungsprozessen teilnehmen und kontinuierlich ihre eigenen Kompetenzen weiterentwickeln. Darüber hinaus soll sie allen angehenden Lehrkräften den Erwerb fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und bildungswissenschaftlicher Kompetenzen ermöglichen – angepasst an die jeweiligen Altersstrukturen der Schülerinnen und Schüler und die damit verbundenen bildungswissenschaftlichen, fachdidaktischen und fachlichen Voraussetzungen.
Die angeführten Maßnahmen stellen einen entscheidenden ersten Schritt zu einer qualitativen Verbesserung der Lehramtsausbildung dar. Sie folgen dabei u. a. den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (s. KMK-Beschluss „Gestaltung von zusätzlichen Wegen ins Lehramt“), nicht zuletzt um auch eine bundesweite Vergleichbarkeit von Abschlüssen zu befördern.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Niedersachsen hat in einer schriftlichen Umfrage unter Lehrkräften im Vorbereitungsdienst im Sommer 2023 das Vorhandensein eines „Praxisschocks“ nachgewiesen. Demnach fühlten sich 84 % der angehenden Lehrkräfte nicht ausreichend für die Berufspraxis gerüstet, 36 % gaben sogar an, unter konkreten Angstzuständen zu leiden. 53 Prozent der Befragten konnten sich keine Berufstätigkeit als Lehrkraft bis zur regulären Altersgrenze von 67 Jahren vorstellen, mehr als die Hälfte wollte zudem nur in Teilzeit arbeiten. Dies zeigt deutlich, dass frühere und längere Praxisphasen vor allem in Lehramtsstudiengängen notwendig sind, in denen der „GHR 300“-Standard mit seinen verlängerten Praxisphasen noch nicht zur Anwendung kommt (Lehramt an Gymnasien, Lehramt an berufsbildenden Schulen und Lehramt für Sonderpädagogik).
Deshalb soll künftig der Praxisbezug im Studium erhöht und qualitativ verbessert werden, um die angehenden Lehrkräfte besser auf den praktischen Alltag in der Schule vorzubereiten.
Die Praxisphase im Masterstudium dient der Stärkung der Professionalität und soll insbesondere zu einer praxisorientierten Vertiefung der erworbenen Kompetenzen führen. Zugleich dient die Praxisphase der intensiven Verzahnung der theoretischen und praktischen Ausbildung an Hochschulen und Schulen. Studierende sollen an die grundlegende Anforderung des Lehrberufes von Beginn an herangeführt und beim Rollenwechsel zur Lehrkraft begleitet werden. Gleichzeitig sollen reflektierte Praxisphasen zur Professionalisierung beitragen. Schulpraktische Phasen dienen über den gesamten Studienablauf hinweg dem Aufbau und der Erprobung von professionsbezogenen Kompetenzen. Da die Studierenden selbst noch Lernende sind, ist während des Studiums sicherzustellen, dass praktische Erfahrungen im Unterricht sowie an Schule generell stets mit Begleitung bzw. Unterstützung erfolgen können. Die Praxisphasen sollen einen kumulativen Kompetenzaufbau unterstützen.
Die Ausbildung angehender Lehrkräfte erfolgt in der zweiten Phase an Schulen und an Studienseminaren. Mit Blick auf das Gewinnen neuer Nachwuchskräfte ist die Ausbildung ein zentrales Element der Personalentwicklung an Schulen.
Aber auch anhand von Beispielen aus der Praxis lassen sich Regelungsdesiderate ableiten: So erschwert oder verhindert die bisher geforderte Festlegung der Studierenden entweder für den Schwerpunkt Hauptschule oder den Schwerpunkt Realschule den späteren Wechsel in eine andere Schulform, obwohl die Studieninhalte bei beiden Lehrämtern identisch sind und auch dieselben Vertiefungsseminare besucht werden.
Ein kompletter Verzicht auf die Schwerpunktsetzung würde es Absolventinnen und Absolventen generell ermöglichen, nicht nur wechselseitig an Haupt- und Realschulen, sondern auch an Gesamtschulen unterrichten zu dürfen.
[1] GHR 300 ist ein innovatives Konzept der universitären Lehrkräfteausbildung für die Lehrämter an Grund-, Haupt- und Realschulen in Niedersachsen, das zum Wintersemester 2014/15 eingeführt wurde. Es verlängert die Regelstudienzeit des Masterstudiums von zwei auf vier Semester, sodass Studierende insgesamt 300 Leistungspunkte erwerben, und beinhaltet eine 18-wöchige Praxisphase an einer Schule. Ziel des Programms ist eine stärkere Verknüpfung von Theorie und Praxis sowie eine bessere Vorbereitung der Studierenden auf den Vorbereitungsdienst und den späteren Berufsalltag als Lehrkraft.