Antrag: Die Fachkräfte von morgen brauchen jetzt unsere bestmögliche Unterstützung - Berufliche Orientierung an Niedersächsischen Schulen ausbauen und weiterentwickeln!
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
In Niedersachsen haben in den vergangenen Jahren regelmäßig über 20.000 junge Menschen keinen Ausbildungsplatz gefunden und zeitgleich blieben fast dreimal so viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Ob im Handwerk oder der Industrie, ob in der Pflege oder im Handel- in vielen Branchen wird in Niedersachsen über den fehlenden Fachkräftenachwuchs geklagt. Da klingt es paradox, dass trotzdem so viele junge Menschen im Anschluss an die Schule keinen Weg in die berufliche Ausbildung finden. Deshalb gilt es, frühzeitig in den allgemeinbildenden Schulen anzusetzen, um die Schüler*innen zu befähigen, ihren eigenen Berufswahlprozess entsprechend ihren Neigungen und Fähigkeiten zu steuern.
Vor diesem Hintergrund kommt der Beruflichen Orientierung für das Land Niedersachsen eine wachsende Bedeutung zu. Eine Stärkung der Beruflichen Orientierung und ein neuer Rahmen für diese sind nicht nur vor dem Hintergrund der sich veränderten Arbeitswelt und des Fachkräftemangels unabdingbar. „Ausgehend von ihren Interessen, Kompetenzen und Potenzialen sollen die Schüler*innen in einem langfristig angelegten Prozess befähigt werden, sich reflektiert, selbstverantwortlich, frei von Klischees und aktiv für ihren weiteren Berufs- und Bildungsweg, vor allem für einen Beruf und damit für eine Ausbildung bzw. ein Studium und ein Berufsfeld zu entscheiden“[1]. Hierbei ist eine gute Kooperation der umliegenden allgemein- und berufsbildenden Schulen, der örtlichen Wirtschaft, der Kammern, Verbände und Hochschulen wichtig.
Es gibt bereits heute zahlreiche Angebote und Maßnahmen, um Schüler*innen der allgemeinbildenden Schulen individuell im Prozess der Beruflichen Orientierung zu unterstützen. Hierzu zählen insbesondere die im Erlass zur „Beruflichen Orientierung an allgemeinbildenden Schulen“ verankerten Maßnahmen wie z.B. Kompetenzfeststellungsmaßnahmen und das Schülerbetriebspraktikum. Dennoch zeigt sich, dass insbesondere an Gymnasien die Berufliche Orientierung gestärkt und weiter ausgebaut werden muss. Zudem richtet sich der aktuell gültige Erlass nicht explizit an berufsbildende Schulen (BBS), auch wenn diese mehrfach als Kooperationspartnerinnen benannt werden. Vielmehr wurde davon ausgegangen, dass bei Schüler*innen der BBS durch die vollzogene Wahl einer beruflichen Fachrichtung ein gewisser Grad an Beruflicher Orientierung vorhanden wäre.
Die Modellvorhaben des Kultusministeriums zur Optimierung des Übergangssystems der BBS (u. a. das aktuell laufende Innovationsvorhaben BFS dual und das Projekt „Zusätzliche Berufliche Orientierung an niedersächsischen öffentlichen berufsbildenden Schulen“) zeigen jedoch deutlich auf, dass gerade Schüler*innen in vollzeitschulischen Bildungsgängen der BBS einer weiteren „vertieften“ Beruflichen Orientierung bedürfen.
Der Landtag erkennt an, dass das Kultusministerium die Berufliche Orientierung an Niedersachsens Schulen durch bereits bestehende Maßnahmen in den letzten Jahren wesentlich gestärkt hat und begrüßt an dieser Stelle:
- Den Erlass „Berufliche Orientierung an allgemeinbildenden Schulen“, der bereits viele wichtige Aspekte der beruflichen Orientierung implementiert und einen wichtigen Grundstein beruflicher Orientierung in Niedersachsen darstellt.
- Die Evaluation des BO-Erlasses in Zusammenarbeit mit dem NLQ im Herbst 2023, an der sich 4.000 Personen aus unterschiedlichen Bereichen wie Unternehmen, schulisches Personal, Bundesagentur für Arbeit, Kammern und Verbände, aber auch Eltern und Schüler*innen beteiligt haben und die wichtige Erkenntnisse über die Wirksamkeit sowie bestehende Lücken eröffnet hat.
- Das Projekt „Zusätzliche Berufliche Orientierung an niedersächsischen öffentlichen berufsbildenden Schulen“ des Kultusministeriums , das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde hat an 9 berufsbildenden Schulen eine zusätzliche und intensive Berufliche Orientierung, von der 2000 Schülerinnen und Schüler profitiert haben, angeboten und die Ergebnisse evaluiert.
- Das gemeinsame Engagement der relevanten Akteure für eine nachhaltige und stetige Verbesserung der beruflichen Orientierung in Niedersachsen. Und hierbei insbesondere die Zusammenarbeit der Schulen mit Kommunen, Unternehmensverbänden, Kammern und Gewerkschaften im Bündnis Duale Berufsausbildung, die Woche der beruflichen Bildung der Landesregierung und die Koordinierungsstelle Berufsorientierung des Kultusministeriums, die als Servicestelle allen allgemeinbildenden Schulen kostenlose Module zur Beruflichen Orientierung bereitstellt.
Der Landtag bittet die Landesregierung:
- Im Rahmen des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) eine Verankerung der Beruflichen Orientierung an allen weiterführenden Schulformen und Vollzeitschulformen der Berufsbildenden Schulen, die nicht zu einem Berufsabschluss führen, zu implementieren und dadurch nachhaltig als Ziel des Landes Niedersachsen festzuschreiben.
- Zu prüfen, inwiefern die Landesregierung den Schulen geeignete Unterstützungsmöglichkeiten zur Umsetzung der Beruflichen Orientierung bieten kann, um eine wirksame schulinterne und außerschulische Koordination zu ermöglichen.
- Im Rahmen der Weiterentwicklung des Erlasses zur Beruflichen Orientierung sicherzustellen, dass an allen Schulformen, einschließlich der Gymnasien, in der Sek I ein verpflichtendes Praktikum durchgeführt wird.
- Die schulischen Betriebspraktika bzw. Praxistage auszubauen und zu flexibilisieren, (z. B. mehr Flexibilität im Hinblick auf die Dauer des schulischen Betriebspraktikums), um vielfältige konkrete Erfahrungen in der Berufs- und Arbeitswelt zu ermöglichen.
- Die Zusammenarbeit zwischen allgemein- und berufsbildenden Schulen zu intensivieren und Kooperationen bei Praxistagen zu stärken.
- Die Einbeziehung und Beratung von Eltern und Erziehungsberechtigten als besonders wichtige Ansprechpersonen der Schüler*innen im Prozess der beruflichen Orientierung auszubauen.
- Die Kompetenzen von Lehrkräften im Bereich der Beruflichen Orientierung in der Lehramtsausbildung und durch Fortbildungen zu stärken sowie in ihren jeweiligen Fachdidaktiken Praxis- und Lebensweltbezüge auszubauen.
- Zu prüfen, wie eine Verankerung berufskundlicher Themen bzw. der Förderung der Berufswahlkompetenz in den Curricula aller Fächer der Sek I u. Sek. II aussehen kann.
- die Berufliche Orientierung auf Grundlage von Kompetenzfeststellungsverfahren in der Sek I und Sek II voranzutreiben und solche Verfahren verstärkt einzusetzen, die den Qualitätsstandards des BMBF zur Durchführung von Potenzialanalysen entsprechen, um die Kompetenzen, Interessen und Potenziale der Schüler*innen prozesshaft zu ermitteln und die Implementierung im weiteren individuellen BO-Prozess diesbezüglich voranzutreiben. Es sollte zudem geprüft werden, wie die Schulen bei der Durchführung der aktuellen Kompetenzfeststellungsverfahren Profil AC und 2P noch besser unterstützt werden können.
- Die Einführung einer Schüler-ID bzw. Auszubildenden-ID voranzubringen. Dabei zu prüfen, wie die Schüler-ID im Zusammenhang mit einer besseren Nachvollziehbarkeit von Bildungsbiografien zur digitalen Dokumentation der Teilnahme an BO-Maßnahmen hinzugezogen werden kann.
- Die Zusammenarbeit und Kooperation zwischen den Schulen und den Agenturen für Arbeit und Jugendberufsagenturen weiterhin zu fördern durch
- Die Unterstützung und Fortsetzung des Angebots der Koordinierungsstelle Berufsorientierung (KoBo)
- einen stärkeren Einbezug der Angebote der Berufsberatung der BA im Rahmen des schulischen BO-Konzepts, um die individuelle, an die Potenzialanalyse anknüpfende Beratung und Begleitung der Schüler*innen zu fördern;
- Den Ausbau von inklusiven Angeboten im Kontext der beruflichen Orientierung beispielsweise durch Maßnahmen der individuellen Förderplanung beruflicher Integration, die Zusammenarbeit der beruflichen Orientierung mit der Reha-Beratung der Agentur für Arbeit, sowie den Ausbau der beruflichen Orientierung in Förderschulen voranzutreiben und zu unterstützen
- Im Rahmen des Startchancenprogramms an weiterführenden Schulen Modelle zur Beruflichen Orientierung und zur Verbesserung des Übergangs von Schule und Beruf zu erproben.
- Regelmäßige, landesweite Evaluation zwecks Qualitätssicherung und Erfassung des Impacts der schulischen BO-Konzepte durchzuführen.
Begründung
Eine gelingende berufliche Orientierung in der Sekundarstufe I erleichtert den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt. Sie fördert die Selbstwahrnehmung, bietet erste Orientierung auf dem Arbeitsmarkt und motiviert Jugendliche, ihre schulischen und beruflichen Ziele zielgerichtet zu verfolgen. Auch an den niedersächsischen Gymnasien wird das Thema BO immer wichtiger. Vorgaben zum Schülerbetriebspraktikum und anderen Maßnahmen der BO müssen gleichwohl verstärkt werden, um allen Schüler*innen Praktika zu ermöglichen. Die Gleichwertigkeit von Ausbildung und Studium gilt es auf diesem Wege flächendeckend näherzubringen. Der neue BO-Erlass soll dahingehend noch praxisnäher aufgestellt werden. Mittels praxistauglichen Erkundungstools lernen Jugendliche ihre eigenen Stärken, Schwächen, Interessen und Talente besser kennen. Sie entdecken, welche Tätigkeiten sie interessieren und welche beruflichen Felder zu ihren Fähigkeiten passen könnten. Dies ist ein wichtiger Schritt, um später eine fundierte Entscheidung für eine berufliche Richtung zu treffen.
Der derzeitig gültige Erlass (2018) war die erste grundlegende Beschreibung der BO-Aufgaben für die Schulen. Diesen Rahmen gilt es nach der Pandemie und einer sich stetig verändernden Interessenlage und Haltung der Jugendlichen anzupassen. Pandemie, Krieg in der Ukraine, Klimawandel, Inflation, sich durch die Digitalisierung verändernde Berufsfelder, Mangel an Ausbildungsinteressierten und Fachkräften auf den Arbeitsmärkten, Motivation zu längerfristiger biografischer Planung etc. haben sich gegenüber der Zeit der Formulierung des ersten BO-Erlasses im Jahr 2018 verändert und müssen in einer Neufassung des BO-Erlasses Berücksichtigung finden. Durch die Nachschärfung der Vorgaben im Erlass und einen neuen Rahmen für allgemeinbildende und berufsbildende Schulen wird die BO in Niedersachsen noch umfassender gestärkt und festgeschrieben.
Aus: Empfehlungen zur Beruflichen Orientierung an Schulen, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.12.2017, www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2017/2017_12_07-Empfehlung-Berufliche-Orientierung-an-Schulen.pdf